Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 14

Duisburger Süden mit Dioxin verseucht

Facettenreicher Störfall

Die besonders hohe Belastung der Duisburger Bevölkerung durch giftige Emissionen ist seit langem notorisch. Drei wesentliche Quellen sind zu verorten: Erstens die gewichtige Stahlindustrie, die trotz aller Verbesserungen immer noch einen harten Cocktail von Umweltgiften freisetzt; zweitens krankmachende Strassenverkehrsemissionen durch Duisburgs Rolle als Drehscheibe des westlichen Ruhrgebiets, sowie drittens giftige Stoffe aus einer fragwürdigen Recyclingbranche, die sich auf das hochprofitable Geschäft mit metallhaltigen Stäuben konzentriert. Die Berzelius Umwelt Service AG (BUS) im Duisburger Süden gehört zu den Großemittenten der dritten Art.
  Der Störfall bei diesem Unternehmen, durch den hochgradig dioxinhaltiger Zinkstaub in die Umgebung geblasen wurde, hat die Leidensfähigkeit der Bevölkerung überstrapaziert und zum Aufschrei eines ganzen Stadtteils geführt. Fast drei Tage blieben mindestens 4000 AnwohnerInnen ahnungslos, bis Alarm gegeben wurde. Was dann folgte, schwankte zwischen schlechter Improvisation und Hilflosigkeit.
  Die BUS - im Branchentelefonbuch unter "Umweltschutz" zu suchen - war auch vor der Verseuchung in der Nacht vom 14. auf den 15.März ‘99 als Giftschleuder bekannt, konnte aber auf wohlwollende Rücksichtnahme durch Politiker wie den früheren NRW-Umweltminister Matthiesen (SPD) rechnen. Erst auf massiven Druck durch die Duisburger Umweltbewegung und das grüne Ministerium unter Bärbel Höhn erfolgte vor über zwei Jahren der Einbau von Aktivkohlefiltern. Die BUS und die benachbarte Mount Isa Mining (MIM) bzw. ihre Vorläuferunternehmen galten seit Jahren als Hauptverursacher der hohen Dioxinwerte in den Duisburger Stadtteilen Wanheim-Angerhausen und Hüttenheim.
  Der Einbau einer hochwirksamen, mit Aktivkohle ausgerüsteten Dioxinfilteranlage bei der BUS, ihre Inbetriebnahme Anfang 1997, sowie ca. ein Jahr später auch bei MIM, war ein wichtiger umweltpolitischer Erfolg. Damit wurde der Dioxinaustoß auf ein Zehntel gesenkt.
  Störfall
  Arbeiter der ausgehenden Mittagschicht der benachbarten Hüttenwerke Krupp Mannesmann sowie der dort ebenfalls tätigen Eisenbahn und Häfen GmbH bemerkten als erste den Staub, der sich überall niedergelegt hatte, und wandten sich an Pförtner und Werksfeuerwehr. Dort wollte ihnen niemand helfen. Der EH-Beschäftigte L. fuhr auf seinem Nachhauseweg kurz vor Mitternacht nichtsahnend in die Giftstaubwolke vor der BUS, konnte "die Hand nicht mehr vor Augen sehen". Anwohner und nicht die BUS alarmierten schließlich das Staatliche Umweltamt (STUA) über den schwarzen, klebrigen Staub. Vertreter des STUA trafen nach 3 Uhr ein. Auf ihre Nachfragen bei der BUS, ob ein Störfall vorliege, wurde dies verneint. Zunächst ging man sogar von dem Verdacht aus, ein Lkw habe Ladung verloren. Die STUA-Vertreter nahmen schließlich Proben und verließen die Stätte. Am Morgen ließ die BUS durch den städtischen Reinigungsdienst große Mengen Staub von umgebenden öffentlichen Strassen fegen. Skeptische Fragen der Arbeiter, um welchen Stoff es sich handele und ob sie ohne Körperschutz arbeiten könnten, wurden kaltschnäuzig abgebügelt. Um 8 Uhr fragte das STUA nochmals bei der BUS an: "Habt ihr einen Störfall? Gibt es ein Dioxinproblem?" Die Antwort: "Nein, aber wir melden uns im Laufe des Vormittags". Man meldete sich aber erst um 13.45 Uhr und versicherte wiederholt, es liege kein Störfall vor.
  Bedingt durch die aufwendige Analyse, die im modern ausgestatteten Landesumweltamt immerhin viel Zeit in Anspruch nahm, aber durchaus eher hätte vorliegen können, wurde das ganze Ausmaß der Verseuchung und kriminellen Vertuschung erst mit großer Verspätung deutlich. Erst am Mittwochmorgen stand fest: Die Probe des schwarzen, klebrigen Staubs enthielt 840 Nanogramm Dioxin!
  Und erst jetzt wurde bei Behörden und Politik Alarm geschlagen, und zwar zunächst nur intern! Jetzt improvisierte man erst mal Notfallmaßnahmen am grünen Tisch. Einen Alarmplan gab es nicht. Gegen 18 Uhr wurden in Duisburg die Ratsfraktionen durch den Umweltdezernenten Brandt informiert. Erst dann ging man an die Öffentlichkeit. Stadt und Land forderten dazu auf, Kinder nicht mehr im Freien spielen zu lassen, den Staub nur mit Handschuhen abzuwischen. Staub und Handschuhe solle man verpacken und zum nahegelegenen Kompostwerk Huckingen bringen. Das Wischwasser, so die Stadtinformation, könne man als normales Abwasser entsorgen!
  Die Stadtreinigung wurde angewiesen, während der nächsten Tage öffentliche Verkehrsflächen zu säubern und auf Kinderspielplätzen den Sand auszutauschen. Weißgekleidete Kolonnen mit einfachem Mundschutz bestimmten nun das Bild vor Ort. Manche Schaufel Staub oder verunreinigter Sand, so Beobachtungen der AnwohnerInnen, landete allerdings im Gebüsch. Im übrigen bestehe, so die beruhigende offizielle Formel, "keine akute Gefahr für die Bevölkerung".
  Ab Donnerstagmorgen ließ die Stadtverwaltung Flugblätter in deutsch und türkisch verteilen. Eine Hotline der Feuerwehr wurde angeboten, mit der 22 Leitungen über ein Band bedient werden konnten. Diese war bald total überlastet.
  Kriminelle am Werk
  Rund 4000 AnwohnerInnen, zahlreiche, auf Grund des seit langem wieder schönen Wetters draußen spielende Kinder und Schulklassen waren fast drei Tage lang mit dem giftigen Staub in Berührung gekommen oder hatten ihn verschluckt. Verärgert über den Industriedreck, aber von seiner Giftigkeit nichts ahnend, hatten viele AnwohnerInnen versucht, Balkons und Fenster zu reinigen. Ungehinderter Autoverkehr verschleppte den Staub in alle Himmelsrichtungen. 1500 streikende StahlarbeiterInnen waren außerdem am Dienstagvormittag nichtsahnend dem Staub ausgesetzt, als sie sich am nahegelegenen Tor 1 bei HKM zur einer Kundgebung versammelten.
  Der BUS-Vorstand wurde für Donnerstagmorgen ins Umweltministerium bestellt, wo er Rede und Antwort stehen mußte. Zugegeben wurde nur das, was nicht mehr abzustreiten war. Der Störfall war bereits gegen 22.20 Uhr aufgetreten und nicht erst gegen 2.30 Uhr, wie zunächst behauptet. Der Zeitpunkt und die bereits erwähnten Zeugen hinterlassen übrigens auch erhebliche Zweifel, ob die von den Behörden übernommene Firmenversion stimmt, max. 1,2 Tonnen Staub seien ausgetreten. IG-Metall- interne Informationen gehen ebenfalls von mehreren Tonnen aus.
  Die fünf Arbeiter der Nachtschicht, die bei der BUS mit der Staubverladung beschäftigt waren, waren außerdem in keiner Weise über das Gefahrenpotential aufgeklärt. Kein Wunder, so die IG Metall Duisburg in einer öffentlichen Erklärung, war doch die Firma bereits seit Monaten auch in Sachen Arbeitsschutz durch Schlamperei und Mißachtung aufgefallen. Erst unlängst hatte es durch mangelhaften Arbeitsschutz bei einem Beschäftigten schwere Verbrennungen gegeben.
  Außerdem mußten die BUS-Vorständler im Ministerium einräumen, daß die Anlage technisch manipuliert worden war. Der angelieferte Zinkstaub war nicht umgeladen worden, um ihn durch den Drehrohrofen zu schicken, sondern er wurde durch einen Bypass daran vorbeigeleitet und verdünnt den Metallresten zugeführt, die den Drehrohrofen "normal" durchlaufen haben und dann weiterverarbeitet werden. Eine absolut kriminelle, aber hochprofitable Verfahrensweise!
  Bei dem trickreichen Vorbeischleusen war dieses Mal ein Schlauchfilter gerissen und das giftige Material durch einen kleineren Kamin in die Umgebung verteilt worden. Wie sich herausstellte, war dies auch nicht das erste Mal. Bereits am 12.3.99 war minutenlang Giftstaub ungefiltert ausgetreten, was von einem Mitarbeiter des STUA beobachtet worden war. Die Anlage war daraufhin abgeschaltet und die Filter erneuert worden.
  Umweltbewegung aktiv
  In einer Pressemitteilung am 18.3.99 räumte die BUS den Schlamassel ein, sprach von nur 900 kg ausgetretenem Staub und versicherte, "nach derzeitigem Stand ist davon auszugehen, daß die ausgetretenen Mengen keine Gesundheitsgefährdung verursachen". Doch die Glaubwürdigkeit war diesmal restlos dahin, vor allem für die BUS, aber auch Behörden und Politik standen kaum besser da. In der Spitze waren 2100 Nanogramm im Wohnumfeld gemessen worden. Die Bürgerinitiative gegen Umweltgifte Duisburg-Nord e.V., bereits seit über zehn Jahren aktiv, wurde von Anrufen überschwemmt.
  Eine erste Demonstration fand am Montagnachmittag vor dem Werk statt. Abends drängten sich hunderte von AnwohnerInnen auf einer Veranstaltung der BI, die mit fachkundigen Referenten, darunter ein Arzt und eine Rechtsanwältin, informierte, aber vor allem dafür warb, daß sich umgehend eine BI vor Ort bilden müsse.
  Vertreter des BUND gaben bekannt, daß sie Strafanzeige gegen die Verantwortlichen gestellt hätten und forderten die Rücknahme der Betriebsgenehmigung. Die Bürgerversammlung nahm eine Entschließung an, worin das Verhalten von Politik und Behörden massiv kritisiert wurde.
  Die Versammelten forderten u.a. die rückhaltlose Aufklärung der Unfallursache, die rückhaltlose Aufklärung aller Versäumnisse, die Strafverfolgung der Verantwortlichen, volle Entschädigung, medizinische Betreuung und Messungen durch unabhängige Sachverständige sowie die Stilllegung der Firma "bis alle rechtlichen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen für einen verantwortbaren Weiterbetrieb geschaffen sind". Die ca. 60 Beschäftigten dürften dabei keinen Entgeltverlust erleiden.
  Die BI-Veranstaltung wurde aufgezeichnet und in großen Teilen anderntags über den Bürgerfunk im Radio Duisburg gesendet.
  Bisheriges Fazit
  Am 23.3.99 wurde von Politik und Behörden "Entwarnung" gegeben. Die Reinigungsarbeiten seien so erfolgreich gewesen, daß die anschließenden Messungen nur noch geringfügige Dioxinwerte ergeben hätten.
  Nach neuen Demonstrationen und Protesten, zu denen die vor Ort neugebildete Bürgerinitiative gegen Dioxinverseuchung aufgerufen hatte, fand schließlich am 26.3.99 in der Sporthalle Süd eine offizielle Veranstaltung statt, an der rd. 1000 Menschen teilnahmen.
  Volkszorn machte sich Luft, als Politiker, Behörden und Unternehmensvertreter das Wort ergriffen. Zahlreiche BürgerInnen beteiligten sich an der Diskussion und erhoben umfassende Forderungen.
  Diesen Tag werden der BUS-Vorstandsvorsitzende, aber auch die vertretenen Behördenleiter und Politiker lange nicht vergessen! Die BUS mußte sich öffentlich entschuldigen, das Werksmanagement feuern, materielle Wiedergutmachung sowie eine vollständige Überprüfung des Betriebs und eine Reorganisierung des Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsschutzes zusagen.
  Ministerin Höhn sagte den Einsatz von unabhängigen Sachverständigen in Absprache mit der BI zu, die systematische Bodenproben nehmen sowie eine medizinische Bewertung der Situation vornehmen sollen. Sämtliche Duisburger Betriebe sollen wiederholt oder erstmals auf ihr Störfallpotential hin untersucht werden. Die Dioxinbelastung im gesamten Stadtgebiet soll mit unabhängigen Sachverständigen unter Einbeziehung der BIs erneut aufgenommen und eingeschätzt werden.
  Schließlich stehen am 12.September Kommunalwahlen bevor und der mehrheitlichen SPD paßt es überhaupt nicht, daß Duisburg wieder einmal bundesweit für negative Schlagzeilen sorgt.
  Hermann Dierkes
 


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